Abbildung 1: Die Fichten in der Aufforstungsfläche Scharinas wachsen schneller als erwartet. Quelle: Swisstopo

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Starkes Baumwachstum fordert eine angepasste Rottenpflege

Die Aufforstung Scharinas bei Tujetsch (GR) ist ein bedeutender Schutzwald für die Gemeinde. Die Bäume wachsen sehr schnell, und ein neues Pflegekonzept zeigt die notwendigen Eingriffe für die nächsten zehn Jahre auf: Über 100 Rotten sollen entnommen werden.

Alexander Carella* | In den 1970er-Jahren wurde eine gänzlich unbestockte Fläche in Tujetsch mit temporären Werken gegen Lawinen verbaut und flächig mit Fichten, Lärchen, Arven und Bergföhren aufgeforstet. Ab 1997 wurde die Fläche mit einer Rottenpflege strukturiert, das heisst, es wurde eine Vielzahl an Gassen ausgehauen. Das Ziel war, dass diese Rotten bis ins hohe Lebensalter lange grüne Kronen behalten und dauerhafte, stabile Rottenstrukturen entstehen würden. Die Rotten sind heute noch erkennbar, aber die Kronenabstände zwischen den Randbäumen sind nur noch gering.

Neues Wissen fordert angepasste Pflege

Die Rottenpflege in Scharinas wurde nach dem Leitfaden von Ernst Zeller (1993) ausgeführt. Dieser legte eine Gassenbreite von von 6 bis 10 Metern Schrägdistanz fest. Nach heutigem Wissen ist diese Breite aber zu gering. Die Praxishilfe Jungwaldpflege der Fachstelle für Gebirgswaldpflege (GWP) empfiehlt eine Gassenbreite von 8 bis 12 Metern Horizontaldistanz. Das infolge des Klimawandels gute Baumwachstum in den vergangenen Jahren sowie die schmalen Gassen führen dazu, dass sich der Bestand durch die Kronenausladung der Rotten zu schliessen beginnt.

Ohne einen starken Eingriff (Entfernung eines Viertels aller Rotten und damit Einleitung der Verjüngung) würden mittelfristig die grünen Rottenränder verschwinden und der Bestand homogen werden. Dann wäre die Verjüngungseinleitung viel riskanter, da stabile Bestandesränder mit langen grünen Kronen vollständig fehlen würden.

Dass der Zeitpunkt für die Verjüngungseinleitung nicht mehr frei gewählt werden kann, ist für den Forstbetrieb ein Nachteil, und da es noch weitere Aufforstungsflächen im Gemeindegebiet gibt, die ebenfalls dringend verjüngt werden sollten, entsteht ein erheblicher Zeitdruck.

Rottenstruktur langfristig sichern

Um die für die nächstenzehn Jahre notwendigen und zweckmässigen Massnahmen aufzuzeigen, wurde ein Pflegekonzept ausgearbeitet. Erstellt wurde es von Flora Märki (Professur Waldökologie ETH) in Zusammenarbeit mit dem Revierforstamt Tujetsch, dem Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden (AWN) sowie der Fachstelle Gebirgswaldpflege (GWP). Bei der Massnahmenplanung stand der Erhalt der Rottenstruktur, welche die langfristige Strukturierung des Schutzwaldes sicherstellt, im Vordergrund.

Unter Einhaltung des erforderlichen Deckungsgrades sollen durch die Entnahme einzelner Rotten möglichst viele Rottenränder freigestellt werden. Pro Rotte wird eine Freistellung von mindestens 50% des Rottenrandes angestrebt. Wo die Hangneigung mehr als 35 Grad beträgt, sollen die Rotten in einem hangparallelen Muster entfernt werden. Dadurch entsteht eine Struktur ähnlich einer Kammerung (Jungwaldpflegemethode der hochmontanen Höhenstufe). So wird verhindert, dass bei gleichzeitig freigestellten Rottenrändern zu grosse Lücken in Falllinie entstehen. Nach dem Erscheinen des Leitfadens von Ernst Zeller wurde an vielen Orten Rottenpflege durchgeführt. Es empfiehlt sich, bei diesen Flächen zu überprüfen, ob die Gassenbreite genügt, damit die Randbäume bis ins hohe Lebensalter lange grüne Kronen aufweisen. Falls die Gassen zu schmal sind, was in vielen Fällen zu erwarten ist, wird empfohlen, ähnlich wie in Scharinas etwa ein Viertel der Rotten zu entfernen.

Im Pflegekonzept wird nicht nur der Hauptbaumart Fichte Rechnung getragen. Denn für die im Jahr 2085 an diesem Ort prognostizierte hochmontane Höhenstufe wird eine Beimischung von 25% Laubbäumen, Lärchen und Waldföhren empfohlen. Insbesondere in einem Schutzwald ist es wichtig, nicht nur auf eine Baumart zu setzen. Deswegen werden anlässlich der Rottenentfernung Lärchen, Föhren und verschiedene Pionier-Laubbäume durch Saat eingebracht. Besonders Letztere sind von Interesse, da sie Struktur in den Bestand bringen und die Baumartenvielfalt erhöhen. Die GWP möchte zur näheren Dokumentation eine Weiserfläche zum Thema «Vorwald Zitterpappel» einrichten. Damit kann beobachtet werden, wie sich die bereits heute in einem Teilgebiet vorhandenen Pappeln nach deren Freistellung entwickeln.

Verjüngung mittels Schürfungen

Durch die Entfernung ganzer Rotten entstehen über 100 Freiflächen. Diese werden genutzt, um mittels Bodenschürfungen die Verjüngung einzuleiten. Ausgeführt werden die Arbeiten vom Forstdienst Tujetsch, die Professur Waldökologie der ETH dokumentiert den Prozess. Dabei wird ein Experiment in die bewährten Schürfungs- und Pflanzmethoden des Forstdiensts integriert. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Verjüngung auf Schürfungen naturnäher sowie mit weniger zeitlichem und materiellem Aufwand erfolgen kann. Es wird untersucht, ob Schürfungen in Trittgrösse geeignet sind, auf den noch konkurrenzfreien Standorten zu verjüngen. Ein besonderes Augenmerk 
wird dabei auf die Verjüngung von Laubbaum-
arten gelegt.

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